Gedan­ken zum Welt-Aids-Tag 2022 – zu ver­in­ner­lich­tem Stigma und Diskriminierungen

Am 1.12.2022 fin­det der seit 1988 von der WHO aus­ge­ru­fene Welt-Aids-Tag statt. Ein Tag an dem das Thema HIV und Aids her­vor­ge­ho­ben und die Rechte von Menschen mit HIV welt­weit bekräf­tigt wer­den. Es wird zu einem Mit­ein­an­der ohne Vor­ur­teile und Aus­gren­zung auf­ge­ru­fen. Außer­dem erin­nert der Welt-Aids-Tag an die Menschen die an den Fol­gen von HIV und Aids ver­stor­ben sind.

Leben mit HIV. Anders als du denkst? 

Menschen mit HIV kön­nen heute leben wie alle ande­ren. Und wür­den das gern. Aber Unwis­sen­heit und Vor­ur­teile ihrer Umge­bung machen ihnen das Leben oft unnö­tig schwer. Dage­gen hel­fen Auf­klä­rung und Selbst­be­wusst­sein. Menschen mit HIV wider­spre­chen Dis­kri­mi­nie­rung, Schuld­zu­wei­sun­gen und Berüh­rungs­ängs­ten. Und erzäh­len, wie das Leben mit HIV wirk­lich ist.“ So die Kam­pa­gne zum Welt-Aids-Tag 2022 der Bun­des­zen­trale für gesund­heit­li­che Auf­klä­rung, der Deut­schen Aids­stif­tung und der Deut­schen Aidshilfe.

HIV-Dis­kri­mi­nie­run­gen und ver­in­ner­lich­tes HIV-Stigma:

Das For­schungs­pro­jekt „posi­tive stim­men 2.0“ des Insti­tu­tes für Demo­kra­tie und Zivil­ge­sell­schaft (IDZ) und der Deut­schen Aids­hilfe (DAH) zeigt Ein­bli­cke in das Leben mit HIV, ver­in­ner­lich­tes HIV-Stigma und Dis­kri­mi­nie­run­gen auf. Ganze 90 % der befrag­ten Teilnehmer*innen sagen, dass sie gut mit ihrer HIV-Infek­tion leben, gleich­zei­tig füh­len sich gut die Hälfte von Vor­ur­tei­len gegen­über HIV beein­träch­tigt. Obwohl dank der HIV-The­ra­pien ein nor­ma­les Leben und ein gutes Lebens­ge­fühl mit HIV zu erwar­ten ist, offen­ba­ren die For­schungs­zah­len gleich­zei­tig das ver­in­ner­lichte HIV-Stigma. Denn 73% geben an, dass nie­mand aus ihrem Leben etwas von ihrer HIV-Infek­tion wisse. 79 % der Befrag­ten berich­ten, dass es ihnen schwer fällt jemand ande­rem zu erzäh­len, dass sie selbst HIV­po­si­tiv sind, und 87 % pas­sen sehr genau dar­auf auf, wem sie von ihrer HIV-Infek­tion erzählen.

HIV­po­si­tive Menschen sind nicht sel­ten auf dem aktu­ells­ten Wis­sen­stand über ihre Erkran­kung. Sie sind dank opti­ma­ler ärzt­li­cher Über­wa­chung und dank medi­ka­men­tö­ser The­ra­pie unter der HIV-Nach­weis­grenze und füh­ren heute ein nor­ma­les Leben bei glei­cher Lebens­er­war­tung wie nicht-posi­tive Menschen auch.

Gerade Menschen mit HIV, die schon viele Jahre mit HIV leben, haben gelernt, ihre HIV-Infek­tion nicht zu offen­ba­ren. Die Angst und das Selbst­stigma hält Menschen mit HIV davor zurück, adäquat und selbst­be­wusst in ihrem eige­nen Umfeld mit HIV umzu­ge­hen. Wenn HIV-Dis­kri­mi­nie­run­gen im Gesund­heits­sys­tem oder auf Arbeit gesche­hen, weh­ren sich viele Menschen mit HIV nicht, obwohl sie ihre Rechte kennen.

In der HIV-Anti­dis­kri­mi­nie­rungs­ar­beit tau­chen diese Fälle auf. Ein Bei­spiel: Ein Mensch mit HIV wil­ligt im Kran­ken­haus bei einer bevor­ste­hen­den Ope­ra­tion nicht zum HIV-Test ein, den­noch wird ohne seine Ein­wil­li­gung ein HIV-Test durch­ge­führt, der die HIV-Infek­tion natür­lich offen­legt. Es fol­gen Nöti­gun­gen sei­tens der Ärzte- und Pfle­ge­per­so­nal auf Ein­wil­li­gung zu einem HIV-Test, auch um den heim­lich durch­ge­führ­ten HIV-Test im Nach­gang zu lega­li­sie­ren. Dar­auf­hin wer­den an der Tür und am Kran­ken­bett Mar­kie­run­gen mit rotem Punkt ange­bracht, um vor einer ver­meint­li­chen Gefahr für das Per­so­nal zu war­nen. Es gibt Daten­schutz­ver­let­zun­gen wie Akten­mar­kie­run­gen „HIV+“, oder es wird laut über den posi­ti­ven HIV-Sta­tus auf Gän­gen und Flu­ren gespro­chen, sodass Unbe­tei­ligte alles mit­be­kom­men. In auf­klä­ren­den Gesprä­chen zeigt sich oft­mals ein gra­vie­ren­der Wis­sens­man­gel in Bezug auf HIV und Aids selbst im Gesundheitswesen.

 

In ande­ren Dis­kri­mi­nie­rungs­fäl­len im Jahre 2022 ging es zusätz­lich um Hass­kri­mi­na­li­tät, um Kün­di­gung wegen HIV, Behand­lungs­ver­wei­ge­run­gen u.v.m. Oft­mals ist fest­zu­stel­len, das HIV­po­si­tive Menschen durch­aus ihre Rechte ken­nen. Sie wis­sen, dass sie ihre HIV-Infek­tion ver­schwei­gen dür­fen. Sie geben auch an, dass sie in The­ra­pie sind und sich gut füh­len, ein nor­ma­les Leben mit HIV leben und kei­ner­lei Beschwer­den wegen HIV haben. Den­noch ist die Angst vor Dis­kri­mi­nie­run­gen und Aus­gren­zun­gen extrem ver­in­ner­licht. Daher schaf­fen es viele nicht, die dis­kri­mi­nie­ren­den Per­so­nen offen zu konfrontieren.

 

HIV-Dis­kri­mi­nie­run­gen fin­den statt. Von Sei­ten medi­zi­ni­schen & pfle­ge­ri­schen Per­so­nals. von Sei­ten Vor­ge­setz­ter, Kollegen*innen oder Behör­den. Daher hat die Han­nö­ver­sche Aids­hilfe über eine För­de­rung der Aktion Mensch ein eige­nes Anti­dis­kri­mi­nie­rungs­pro­jekt „kraft­voll posi­tiv in Hannover“ geschaf­fen, um gegen HIV-bezo­gene Stig­ma­ti­sie­rung und Dis­kri­mi­nie­rung vor­zu­ge­hen, und um Betrof­fe­nen zur Seite zu ste­hen. Pro­jekt­lei­ter und Anti­dis­kri­mi­nie­rungs­be­auf­trag­ter Sebas­tian Bathge kennt viele Fälle „Ich muss fest­stel­len, dass Menschen mit HIV den Kon­takt zu ande­ren HIV­po­si­ti­ven Menschen mei­den. Sie mei­den auch eine reflek­tierte Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Thema, und haben gelernt, dass sie das Recht besit­zen ihre Infek­tion zu ver­schwei­gen. Ich erlebe man­geln­des Empower­ment in Bezug auf einen nor­ma­len, offe­nen, kraft­vol­len selbst­ver­ständ­li­chen Umgang mit ihrer HIV-Infek­tion. Viele von Ihnen haben sogar Hem­mun­gen die Aids­hilfe auf­zu­su­chen, weil sie anneh­men, dass sie gese­hen und erkannt wer­den könnten.“ 

Kön­nen HIV-Dis­kri­mi­nie­run­gen ver­mie­den werden?

Sebas­tian Bathge, Sozi­al­ar­bei­ter und sel­ber HIV­po­si­tiv, sagt dazu ein kla­res „JA“!

Auf der einen Seite muss dar­auf hin­ge­wirkt wer­den, dass sich Kran­ken- & Pfle­ge­per­so­nal neu mit dem Thema HIV aus­ein­an­der­set­zen müs­sen. Denn nur wer über aktu­el­les Wis­sen zu HIV ver­fügt, wird auch einen ent­spre­chend nor­ma­len Umgang mit Menschen mit HIV füh­ren. Auf der ande­ren Seite soll­ten HIV­po­si­tive Menschen aus ihrem eige­nen Schat­ten­da­sein sprin­gen und ler­nen, dass ein selbst­be­wusst offe­ner Umgang mit der eige­nen HIV-Infek­tion nicht zu HIV-Dis­kri­mi­nie­run­gen führt. Ganz im Gegen­teil, was die über­wie­gend posi­ti­ven Erfah­run­gen von offen mit HIV leben­den Menschen beweisen.

Viele Menschen mit HIV trauen sich nicht, den ers­ten Schritt zu machen. Sie besit­zen nicht den Mut, sich mit selbst­be­wuss­ter Stimme zu offen­ba­ren. Statt­des­sen kann ich nur dazu auf­ru­fen sich zu infor­mie­ren und im Falle von Begeg­nun­gen mit HIV­po­si­ti­ven Menschen ihre Soli­da­ri­tät bekun­den und ihnen direkt mit­zu­tei­len, dass dank des neus­ten Wis­sens ein guter Umgang mit HIV vor­han­den ist .“

 

Sebas­tian Bathge

BA / s. A. Sozi­al­ar­bei­ter der Hannöver­schen Aids­hilfe e. V.